Herausforderndes Jahr für die ZBS
(Neumünster, 10.06.2021) „Bleiben Sie zu Hause“ - war die einhellige Botschaft in 2020. Was aber machen Menschen die kein Dach über dem Kopf haben? Das vergangene Jahr war insbesondere für wohnungslose Menschen ein besonders schwieriges Jahr. Rückzugsmöglichkeiten in den privaten Raum waren nicht gegeben und viele öffentliche und soziale Einrichtungen mussten pandemiebedingt ihre Beratungsangebote schließen oder stark begrenzen. Diesen Herausforderungen musste sich die Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose (ZBS) stellen.
Die ZBS teilt sich in unterschiedliche Bereiche auf. Die Beratungsstelle berät unter anderem (präventiv) bei Mietschulden, fristlosen Kündigungen und Räumungsklagen. 759 Beratungsgespräche wurden in der ZBS 2020 geführt. 545 davon waren Neuzugänge. „Hinter einem Beratungsfall stehen aber häufig keine Einzelpersonen, sondern auch Kinder und andere Familienangehörige“, präzisiert Melanie Popp, Fachbereichsleiterin der ZBS. Zeitweise konnte nur eine telefonische Beratung angeboten werden und auch die offene Sprechstunde fiel weg. Hinzu kam die schwierige persönliche Erreichbarkeit der Behörden. „Viele der Menschen mit denen wir täglich zusammen arbeiten, haben keine Möglichkeit zu telefonieren oder keinen Zugang zum Internet. Dies bedeutet für uns, dass Aufgaben wie telefonische Antragsstellungen oder Vereinbarung von Terminen im Rathaus in großen Teilen zusätzlich für die Klient*innen übernommen werden mussten“, berichtet sie.
Um 57 Wohnungskündigungen kümmerte sich das fünfköpfige Beratungsteam. 2019 waren es noch 95. Auch die Zahl der Räumungsklagen sank von 152 (2019) auf 116. „Während der ersten Lockdown-Phase wurden Zwangsräumungsverfahren ausgesetzt. Zusätzlich gab es per Gesetz ‚Unterstützung‘ von Seiten der Bundesregierung. Eine (fristlose) Kündigung aufgrund von coronabedingten Mietrückständen war für die Vermieter*innen erst mal nicht mehr möglich. Während dieser ersten Pandemiephase gingen auf Grund dessen und auch im Allgemeinen in der ZBS im Vergleich zu den vergangenen Jahren durchgängig weniger fristlose Kündigungen ein, denn auch Vermieter*innen sahen von einer Kündigung ab, auch wenn diese rein rechtlich umsetzbar gewesen wäre“ erläutert Melanie Popp. Dass Betroffene aus Angst vor dem Virus nicht in die Beratung kamen, konnte das Team der ZBS nicht beobachten. Auch hier wurden alle Hygieneregeln genau eingehalten und es wurden regelmäßige Testungen durchgeführt. Vielmehr zeigt sich, dass die ZBS mit ihren Einrichtungen für viele Menschen die letzte Zuflucht darstellt und so kommen sie auch weiterhin trotz der strengen Auflagen. Akut obdachlose Menschen werden in der Übernachtungsstelle untergebracht. Daneben bietet diese die Möglichkeit, den Tagesaufenthalt in der angegliederten Tagesstätte in Anspruch zu nehmen. Die Tagesstätte stellt einen Mittagstisch zur Verfügung, der auch von hilfebedürftigen Menschen in Anspruch genommen werden kann, die nicht in der Übernachtungsstelle untergebracht sind. Um den coronabedingten Wegfall des Mittagstisches zu kompensieren, konnten Mittel akquiriert werden, um an die Klientel Lebensmitteltüten zu verteilen oder bei Bedarf auch auszuliefern. „So konnte auch ein niedrigschwelliger Kontakt zur Zielgruppe aufrecht erhalten werden und auf Problemlagen reagiert werden“, führt Melanie Popp aus.
Zusammenarbeit mit der Stadt Neumünster
Die Übernachtungsstelle verfügt über 25 Betten. Nach besten Möglichkeiten wurde versucht, die Zahl der Übernachtungsgäste in den Räumen zu reduzieren. Auch konnte die Frauenwohnung in den Lockdownphasen als mögliche Quarantänestation vorgehalten werden – erfreulicherweise musste sie jedoch nicht genutzt werden, da es noch keinen Fall in der Einrichtung gab.
„Betont werden muss in diesem Zusammenhang, dass in einer engen und sehr guten Zusammenarbeit mit der Stadt Neumünster Personen extern untergebracht werden konnten. Dadurch konnten wir Risikogruppen besser schützen und die Belegung in den Zimmern konnte entzerrt werden“, sagt Vanessa Trampe-Kieslich. 178 Personen wurden 2020 in der Übernachtungsstelle untergebracht. Die durchschnittliche Verweildauer lag bei 30,3 Tage. 23,6 Tage waren es noch in 2019. Dieser deutliche Anstieg lässt sich mit der Corona-Situation erklären, denn eine Vermittlung in den eigenen Wohnraum sowie Wohnungsbesichtigungen waren während der Pandemie nicht so ohne weiteres möglich.
Die finanzielle Situation vieler Menschen hat und wird sich durch die Corona-Pandemie verschlechtern. „Die häufig ohnehin schon prekären Beschäftigungsverhältnisse wurden oder werden beendet, viele Menschen sind von Kurzarbeit betroffen. Durch diese Situation steigt das Risiko, die Mieten nicht mehr vollständig zahlen zu können. Somit gehen wir zukünftig von einem Anstieg von fristlosen Kündigungen und Räumungsklagen aus“, berichtet Melanie Popp. Auch die Suche nach günstigerem Wohnraum wird sich schwierig gestalten, da dieser immer weniger vorhanden ist. Ein Ansatz um diesem Problem zu begegnen, ist die bereits seit 2019 „ambulante Wohnbetreuung“, welche die Vermittlung in den eigenen Wohnraum durch eine Begleitmaßnahme unterstützt. „Erfreulicherweise wurden die bisherigen Erfolge dieser Maßnahme gesehen und sie wurde im März 2021 um eine halbe Stelle aufgestockt“, freut sich Vanessa Trampe-Kieslich, Geschäftsbereichsleiterin Soziale Hilfen bei der Diakonie Altholstein.
Dennoch stellt sich die Vermittlung von wohnungslosen Menschen zurück in einen eigenen Wohnraum zunehmend als Herausforderung dar. „Aus diesem Grund sind wir sehr daran interessiert, über das Förderprogramm des Landes auch in Neumünster Wohnraum für diese besondere Bedarfsgruppe zu schaffen“, stellt Heinrich Deicke, Geschäftsführer der Diakonie Altholstein die Zukunftspläne vor.
BU: Vanessa Trampe-Kieslich (Geschäftsbereichsleiterin Soziale Hilfen), Melanie Popp (Fachbereichsleiterin ZBS) und Heinrich Deicke (Geschäftsführer der Diakonie Aktholstein) stellten den Jahresbericht 2020 vor. | Foto: Diakonie Altholstein / Baier