Keine Routine - ZBS zieht Bilanz
(Neumünster, 01.07.2022) Die Organisation einer Gemeinschaftsunterkunft und die Bereithaltung einer fachlichen und zuverlässigen Beratung war auch im vergangenen Jahr unter den weiterhin einschränkenden Bedingungen täglich eine Herausforderung für die Mitarbeitenden der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose (ZBS) der Diakonie Altholstein.
Die ZBS teilt sich in unterschiedliche Bereiche auf
Die Beratungsstelle berät unter anderem (präventiv) bei Mietschulden, fristlosen Kündigungen und Räumungsklagen. In 2021 wurden 718 (2020: 759) Beratungsgespräche geführt. Dazu kommt, dass hinter einem Beratungsfall häufig keine Einzelpersonen stehen, sondern auch Kinder und andere Familienangehörige, also deutlich mehr Menschen involviert sind. Weiterhin konnte die Beratung unter den Corona-Bedingungen in großen Teilen nur eingeschränkt angeboten werden.
Aufgrund der Auflagen waren während der Pandemie auch die städtischen Ämter für die Klientel der ZBS nur schwer zugänglich. Allerdings wurde zeitweilig auf Forderungen, wie beispielsweise die Aufforderung der Senkung der Unterkunftskosten, verzichtet. „Entsprechend haben sich in dieser Thematik weniger Menschen an uns gewandt, die ansonsten aufgrund von sozialrechtlichen Fragen und Wohnungssuche zu uns kommen. Der Schwerpunkt lag daher 2021 auf der Vermeidung von Wohnungsverlusten und Obdachlosigkeit“, sagt Melanie Popp, Fachbereichsleiterin der ZBS.
Diese Thematik wird in der Zukunft sicherlich noch eine größere Rolle spielen. Mit großer Sorge betrachtet der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Altholstein, Heinrich Deicke, die aktuelle Situation gerade für Menschen, die über geringe finanzielle Mittel verfügen: „Die steigende Inflation bei Lebensmitteln und die Explosion der Energiekosten werden zunehmend Haushalte in Schwierigkeiten bringen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit befürchten wir, dass viele Menschen zunächst Mietzahlungen herausschieben werden, um so finanziell über den Monat zu kommen.“ Der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Flüchtlingssituation hat die ohnehin prekäre Wohnraumversorgung weiter verschärft. „Wir freuen uns für jede/n die/der aus der Ukraine zu uns kommt und schnell eine Wohnung erhält und staunen, wie viele Wohnungen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden konnten, betont der Geschäftsführer, „aber natürlich fehlen diese Wohnungen den Menschen, die wir in der ZBS beraten und begleiten.“
Offensichtlich hat auch die neue Landesregierung diese Problematik erkannt und sieht den dringenden Handlungsbedarf. Daher ist Heinrich Deicke dankbar, dass im Koalitionsvertrag die Thematik der zunehmenden Armut und der schwierige Wohnraumsituation im Land aufgegriffen wird: „Wir wollen die Mittel für Armutsbekämpfung weiter erhöhen“ so zitiert Heinrich Deicke aus dem Koalitionsvertrag und ist gespannt, „was das für die konkrete Praxis bedeutet und ob damit wirklich Hilfen für die Ursachenbekämpfung vom Land zur Verfügung gestellt werden.“
Um 55 Wohnungskündigungen kümmerte sich das fünfköpfige Beratungsteam letztes Jahr. 2020 waren es 57. Die Zahl der Räumungsklagen blieb mit 117, 2020 waren es 116, nahezu gleich. „In diesem Jahr gab es erstmals keine angekündigten Zwangsräumungen ohne vorherige Räumungsklage. In den Fällen, in denen uns eine Zwangsräumungsmitteilung erreicht, ohne dass uns im Vorwege eine Räumungsklage zugeht, handelt es sich um mietwidriges Verhalten - z.B. Ruhestörung - oder es wurde aufgrund von Eigenbedarf gekündigt. In solchen Fällen werden wir nicht vom Amtsgericht über das Räumungsverfahren informiert“, erläutert Melanie Popp.
Akut obdachlose Menschen werden in der Übernachtungsstelle untergebracht. Daneben bietet diese die Möglichkeit, den Tagesaufenthalt in der angegliederten Tagesstätte in Anspruch zu nehmen. Die Zahl derer, die in der Übernachtungsstelle der ZBS akut untergebracht werden musste, hat sich zum Vorjahr nicht verändert. Insgesamt wurden 175 Personen in der Übernachtungsstelle vorübergehend untergebracht. „Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer lag mit 24,2 Tagen zum Glück nicht mehr so dramatisch hoch wie im Jahr zuvor mit ganzen 30,3 Tagen. Dennoch war es eine große Herausforderung unter den gegebenen Umständen weiterhin die Abstandsregeln einzuhalten und immer einen Raum für evtl. notwendige Isolationsmaßnahmen zu schaffen“, berichtet Melanie Popp.
Die Übernachtungsstelle verfügt über 25 Betten. Der größte Teil, 15 Betten, stehen Männern zur Verfügung. Regulär gibt es für Frauen drei Zimmer im Haupthaus und sieben Betten in der externen Frauenwohnung auf dem Gelände. Die Personen, die akut untergebraucht werden mussten, sind weiterhin zum größten Teil männlich. Im Jahr 2020 waren es sogar über 80 Prozent. Die größte Altersgruppe liegt weiterhin zwischen 25 – 55 Jahren. Im Jahr 2021 wurden 100 Männer und 20 Frauen dieser Altersgruppe untergebracht. „Ich bin froh, dass dieses Thema und die Arbeit hier vor Ort, durch das ‚Handlungskonzept Armut‘ bei der Stadt Neumünster gut im Blick ist“, lobt Heinrich Deicke die Zusammenarbeit von Stadt und Träger.
„Im Berichtszeitraum 2021 fanden wieder Wohnungsbesichtigungen statt. Allerdings gibt es auf dem Wohnungsmarkt kaum Bewegung. Frei werdende Wohnungen werden regelrecht mit Anfragen überrannt, wobei unsere Klientel weiterhin nur sehr selten in die nähere Auswahl kommen“, berichtet Melanie Popp. Ein Ansatz, um diesem Problem zu begegnen, ist die bereits seit 2019 laufende „ambulante Wohnbetreuung“, welche die Vermittlung in den eigenen Wohnraum durch eine Begleitmaßnahme unterstützt. Das Konzept der ambulanten Wohnbetreuung baut auf dem Modell des Housing First auf. Dabei wird davon ausgegangen, dass der größte Teil der Klientel vor erneuter Wohnungslosigkeit bewahrt werden kann, wenn sie in einer eigenen Wohnung betreut wird. 13 Wohnungen konnten über private Vermieter/innen angemietet werden, fünf Wohnungen über eine Baugenossenschaft und eine Wohnung kam über eine Stiftung. Bisher wurden insgesamt 30 Personen in 19 Wohnungen betreut.
„Im Rahmen des Projekts ist es uns möglich, die teilnehmenden Haushalte gezielt über gesamt Neumünster zu verteilen. Wir orientieren uns dabei konkret an dem tatsächlichen Wohnungsbedarf und es spielt dabei natürlich eine Rolle, ob minderjährige Kinder im Haushalt sind oder nicht. Bereits mehr als einmal konnten wir beobachten, dass sich diese gezielte Aufteilung äußerst positiv auf den Betreuungsverlauf auswirkt“, blickt Melanie Popp zurück. Während der vergangenen Laufzeit konnten bereits sieben Wohnungen in ein eigenes Mietverhältnis übergeben werden.
Auch Carsten Hillgruber, erster Stadtrat von Neumünster, sieht die Zusammenarbeit und wichtige Arbeit der ZBS als unerlässlich an: „Es kann schneller gehen, als man denkt, dass man in eine Notsituation gerät, in der schnelle und kompetente Hilfe in Wohnungsfragen nötig ist. Da ist es gut, dass es in Neumünster die ZBS der Diakonie Altholstein gibt.“
Bild: Heinrich Deicke, Geschäftsführung Diakonie Altholstein, Melanie Popp, Fachbereichsleitung der Zentralen Beratungsstelle für Wohnungslose (ZBS) und Carsten Hillgruber, Erster Stadtrat der Stadt Neumünster (v.li.).