Erfahrung. Nähe. Kompetenz
Menü

Zuhören statt urteilen: Wohnungslose in Neumünster

Die Diakonie fordert auf, ins Gespräch zu kommen und Vorurteile zu überwinden. Diakonie-Geschäftsführer Heinrich Deicke grenzt sich von Versuchen rechtsextremer Gruppen ab, Betroffene zu instrumentalisieren. Übernachtungsstelle in der Gasstraße fast durchgängig voll belegt.

(Neumünster) „Unerhört! Diese Obdachlosen“ heißt es auf großen violetten Plakatwänden in der Stadt. Die Öffentlichkeitskampagne der Diakonie Deutschland will zwei Jahren lang aufmerksam machen auf Menschen, denen oft nicht zugehört wird. Zwei der Plakate stehen in der Kieler Straße, unweit der Tages- und Übernachtungsstätte für Menschen in Wohnungsnot (ZBS) in der Gasstraße, die die Diakonie Altholstein seit 1995 betreibt. 24 Plätze für Männer und Frauen ohne Dach über dem Kopf gibt es hier, sie können so lange bleiben, bis eine Anschlusslösung gefunden ist. Dabei werden sie laufend in Beratungsgesprächen begleitet.

„Unsere Betten sind voll belegt“, sagt ZBS-Leiterin Melanie Popp, „Aber das sind sie das ganze Jahr über.“ Bei Schnee und Minusgraden gibt es auch in Neumünster eine höhere Aufmerksamkeit für das Thema Obdachlosigkeit. Doch anders als in Städten wie Kiel oder Hamburg gebe es in Neumünster keine feste Obdachlosenszene, die erst der Frost in die Unterkunft treibe, sagt die Sozialarbeiterin. So wie im letzten Dezember Zusatzbetten aufgestellt werden mussten, komme es ebenso im August vor, dass die vorhandenen Plätze nicht ausreichten. 210 Neumünsteraner und Menschen ohne festen Wohnsitz fanden 2017 eine Unterkunft auf Zeit in der ZBS: „Wohnungsnot ist ein Ganzjahresthema!“, so Popp.

Die Gründe, die dazu führen, dass jemand an die Tür der ZBS klopft, sind vielfältig: Es gibt Frauen, die vom Partner rausgeworfen werden, Arbeiter, die nach dem Ende eines Zeitvertrags auch die Dienstwohnung verlieren, junge Menschen, die nie eine eigene Wohnung hatten und viele, die das Leben so aus der Bahn geworfen hat, dass sie in einer normalen Mietwohnung nicht klarkommen. „Auffällig ist, dass immer mehr Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zu uns kommen“, sagt Melanie Popp. Ein passendes Angebot für diese Gruppe gebe es nicht, bemängelt sie: „Oft gibt es einen Drehtüreffekt zwischen Wohnungslosenhilfe und Psychiatrie.“ Diese Entwicklung zeige sich aber nicht nur in Neumünster, sondern bundesweit.

In den Beratungsgesprächen erfahren die Mitarbeiter, was die Bewohner und Bewohnerinnen der Übernachtungsstelle bewegt, und auf welche Ablehnung sie oft treffen, wenn bei der Wohnungs- und Jobsuche klar werde, dass sie wohnungslos seien. Oft sind es private Vermieter, die im persönlichen Gespräch den Bewerbern eine Chance geben. „Über die Bedenken und Risiken muss man offen reden“, betont Melanie Popp, „Mit Schönfärberei ist niemandem geholfen“ Wichtig sei aber, überhaupt ins Gespräch zu kommen.

Während die wohnungslosen Männer und Frauen im Alltag häufig mit Ablehnung zu kämpfen haben, hat Diakonie-Geschäftsführer Heinrich Deicke eine gegenläufige Tendenz beobachtet, die ihn ebenso besorgt stimmt: „Immer wieder gibt es Versuche von rechten Gruppen, das Thema Obdachlosigkeit und die betroffenen Menschen zu instrumentalisieren.“ So würden Obdachlose und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt und die angebliche Unterstützung „einheimischer Wohnungsloser“ politisch ausgenutzt. „Wir mussten mehrfach erleben, dass Aktivisten rechter und nationalistischer Gruppen die ZBS besuchen, ohne sich als politische Akteure zu erkennen zu geben. Im Nachhinein mussten wir dann sehen, dass Fotos der Besuche, die ohne unser Wissen oder Zustimmung entstanden sind, auf einschlägigen Internetseiten erscheinen, versehen mit Kommentaren, die ein Engagement für die Wohnungslosen vorgeben“, berichtet Deicke. Der Diakonie-Chef grenzt sich deutlich von diesen politischen Gruppen ab: „Unser diakonischer Auftrag ist es, Menschen in Not zu helfen. Dabei interessieren uns weder Geburtsort noch Hautfarbe.“

Die ZBS bleibt weiter offen für Neumünsteraner Bürger, die sich über die Arbeit informieren wollen. Bei Feiern wie dem traditionellen Sommerfest sind auch Nachbarn eingeladen – es soll eine Möglichkeit sein, miteinander ins Gespräch zu kommen statt übereinander zu reden. Besonders bewegt waren die Mitarbeiter von der Hilfsbereitschaft der Neumünsteraner zu Weihnachten, als über hundert Geschenkpäckchen für die Bewohner abgegeben wurden.

Kampagne unerhört der Diakonie Deutschland: https://www.diakonie.de/unerhoert/

 

x
Suchbegriff eingeben und Enter drücken
Spenden
Nach oben scrollen