Rain or Shine: Freud und Leid in der Bahnhofsmission
Einmal im Jahr herrscht nicht nur in Wacken Ausnahmezustand, sondern auch am Bahnhof in Itzehoe. Etliche der insgesamt knapp 80.000 Festivalbesucher kommen zunächst mit dem Zug hier an, um dann mit dem Shuttle-Bus zum W:O:A-Gelände zu gelangen. Das bedeutet auch für die Bahnhofsmission einen nicht ganz alltäglichen Ablauf, insbesondere bei der Ankunft vom Metal-Train.
Am Vorabend in München gestartet, begrüßten seine rund 800 Fahrgäste jeden Bahnhof mit einem lautstarken „Wackeeen“. Und bei bester Metal-Musik im Bar- und Tanzwagen machten viele die Nacht zum Tag, gestärkt nur durch den ein oder anderen isotonischen Durstlöscher und Maultaschen sowie Weißwürstchen. Dann um Punkt 7.58 Uhr ist es fast soweit und die drei Ehrenamtlichen der Itzehoer Bahnhofsmission, Siggi Käsch, Eva Adebahr und Mark Jürgens, erwarten die meist süddeutschen Gäste an den Gleisen. Als 15 Minuten Verspätung wegen „Störungen im Betriebsablauf“ durchgesagt werden merkt Eva Adebahr schmunzelt an: „Das kann man jetzt auslegen, wie man will.“
In der Tat kommt es nach der Einfahrt vom Zug beim Aussteigen zu einigen nicht ganz runden „Betriebsabläufen“, was allerdings der Müdigkeit und dem unglaublich vielen Gepäck geschuldet ist, das teilweise direkt durch die Fenster auf den Bahnsteig gelangt. Als dann plötzlich einer der Metalheads mehr oder weniger vornüber fällt, eilen die „Blaujacken“ sofort hin und fragen, ob etwas passiert ist. Seine Kumpels ziehen den Gestürzten wieder hoch und beruhigen mit einem „Dem geht’s gut, der ist nur sternhagelvoll“.
Da der Sonderzug wie eine große Bierlache riecht, kann man dem wohl Glauben schenken. Ansonsten ein ganz entspannter Haufen, der hier bei Nieselregen an Bundespolizei, DB Security und den Mitarbeitenden der Bahnhofsmission vorbeizieht. Wichtigste Ausstattungen sind dabei Springerstiefel, Gaffer Tape, Wurfzelt, ein schwarzes Shirt und natürlich Dosenbier. „Die sind immer besser ausgestattet“, merkt Mark Jürgens an „letztes Jahr haben hier ein paar Geschäftemacher bei strömenden Regen Gummistiefel für 60 Euro das Paar verkauft!“ Danach sieht es dieses Jahr nicht aus, allerdings mutet das Wetter im Laufe des Vormittags immer mehr so an.
Während jeder Zug an den Gleisen neue schwer beladene Metal-Fans anspült, landen in den Räumlichkeiten der Bahnhofsmission die ganz alltäglichen Geschichten. „Viele von uns hat auch ein Schicksal hierhergebracht, so dass wir alle gerne etwas zurückgeben“, weiß Leitungsassistent Siggi Käsch wovon er spricht: Seit 16 Jahren ist er trockener Alkoholiker, klärt in Schulen mit seiner Geschichte auf und ist zudem in seiner Firma Suchtbeauftragter. Und man spürt noch mehr: er und seine beiden heutigen Mitstreiter leben das Ehrenamt.
Und trotz oder gerade wegen der vielen oft traurigen Geschichten und Figuren, ist die Laune ausgezeichnet und genauso erreicht das Team auch die unterschiedlichsten Menschen, vom Obdachlosen, über die gestressten Muttis, die jeden Mittwochnachmittag zu den Mutter-Kind-Kurheimen an die Nordsee fahren und den Rechtsanwalt, der völlig entkräftet einfach nur reden will, bis hin zu den schwarzgekleideten Wacken-Fans. „Freud und Leid ist hier oft nah beieinander, aber so ist das Leben“, fasst Eva Adebahr das Geschehen und die Arbeit zusammen.
Die Bahnhofsmission Itzehoe besteht derzeit aus 16 Ehrenamtlichen und freut sich immer über neue Kollegen. Wer einmal probeweise mitmachen will, der meldet sich unter:
Bahnhofsmission Itzehoe
Bahnhofstraße 32
25524 Itzehoe
Telefon 04821 9570720
bahnhofsmission-iz@steinburg-sozial.de