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Allgemein
Begriff

Die Abkürzung FGM/C steht für „Female Genital Mutilation/Cutting“, also weibliche Genitalverstümmelung und -beschneidung.

Weltweit existieren viele verschiedene Bezeichnungen für FGM/C. Diese dienen nicht nur als Beschreibung für die Praktik selbst, sondern spiegeln auch die verschiedenen Sichtweisen auf die Thematik wider – sie sind also nicht neutral. So sprechen bspw. die WHO und weitere internationale Organisationen ganz bewusst von weiblicher Genitalverstümmelung, um die Schwere des Eingriffs zu betonen und um gleichzeitig zu vermeiden, dass Analogien zur männlichen Beschneidung gezogen werden. In praktizierenden Gesellschaften werden hingegen eher positiv besetzte oder neutraler klingende Bezeichnungen genutzt, wie etwa Säubern, Heilen, Reinheit oder schlicht Beschneidung. Der Begriff Verstümmelung wird zudem von vielen Angehörigen dieser Gesellschaften abgelehnt.

Die Wahl des passenden Begriffs führt zu einem Dilemma: Auf der einen Seite soll FGM/C als schwere Menschenrechtsverletzung benannt werden (können), auf der anderen Seite ist ein sensibler und wertschätzender Umgang wesentlich für die Ansprache und Beratung. Eine Vielzahl von Organisationen und Anlaufstellen nutzt deshalb mittlerweile die Kombination weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung (FGM/C) und berücksichtigt im sensiblen Umgang mit den Communitys die Formulierung Weibliche Genitalbeschneidung (FGC), die entsprechende ethnische Bezeichnung oder aber die individuelle Selbstbezeichnung der betroffenen Frau bzw. des betroffenen Mädchens.

Verbreitung

Weibliche Genitalbeschneidung kommt weltweit vor und kann nicht anhand von Ländern oder Staatsgrenzen eingeteilt werden. Die Zuordnung hängt vielmehr mit der Gruppenzugehörigkeit und dem jeweiligen kulturellen Erbe zusammen. Derzeit sind mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen von FGM/C betroffen. Weitere vier Millionen Mädchen gelten als gefährdet (UNICEF 2020).
Durch Flucht und Migration verlassen die Angehörigen der praktizierenden Gemeinschaften ihre Heimat, womit die gelebte Tradition in das aufnehmende Land gelangt. In Deutschland leben Schätzungen zufolge demnach 104.000 von weiblicher Genitalbeschneidung betroffene Frauen und Mädchen, weitere 18.000 gelten zudem als gefährdet (TERRE DES FEMMES 2022).

Für Schleswig-Holstein bedeutet dies, dass mehr als 3.000 Frauen und Mädchen die Praktik bereits erlebt haben und 460 weitere potenziell gefährdet sind.

Historischer und kultureller Hintergrund

FGM/C wird seit Jahrtausenden praktiziert und hat einen komplexen historisch-kulturellen Hintergrund. Die Ursprünge von weiblicher Genitalbeschneidung und -verstümmelung sind dabei nicht klar festgelegt. Dokumentiert wurden Beschneidungen von Frauen historischen Texten zufolge bereits weit vor unserer Zeitrechnung. Genitalbeschneidungen wurden und werden weltweit durchgeführt. So war bspw. die Entfernung der Klitorisspitze gerade im englischsprachigen Europa des 19. Jahrhunderts sehr weit verbreitet, um Masturbation, weiblicher Homosexualität, Hyper-Sexualität und sogenannter Hysterie entgegenzuwirken.

Es gibt eine Vielzahl von Begründungen, mit denen weibliche Genitalverstümmelung erklärt wird, wie bspw.

  • die Traditionen der praktizierenden Gemeinschaften
  • kulturell geprägte Vorstellungen von Sexualität, Ehe, Familie und der Rolle der Frau
  • soziale Normen und kulturelle Zugehörigkeit
  • Ästhetik
  • gesellschaftlicher Druck
  • religiöse Argumente
  • Mythen

Zusammenfassend ist FGM/C in den Prävalenzgesellschaften die Grundlage für soziale Anerkennung, Zugehörigkeit und somit wesentlich für die Existenzsicherung. Für die Frauen selbst kann FGM/C ein wichtiger Teil ihrer Identität und ihrer kulturellen Verbundenheit sein. Demzufolge verstehen sie die Weiterführung der Tradition auch im Hinblick auf ihre eigenen Kinder als elterliche Fürsorge, auch wenn diese Perspektive für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen ist.

Medizinische Aspekte
Medikalisierung

FGM/C wird in der Regel ohne Betäubung oder Schmerzmittel verübt, zumeist unter unhygienischen Bedingungen und unter Ausübung massiver Gewalt. Ausgeführt wird sie in den meisten Fällen von einer professionellen Beschneiderin, die häufig auch als Hebamme tätig ist.
In einigen Ländern wird seit Jahren zunehmend die sogenannte Medikalisierung von FGM/C beobachtet: Ärzt*innen und weiteres medizinisch ausgebildetes Personal führen FGM/C dabei unter klinischen Bedingungen durch. So wird die Praktik als Operation getarnt und erhält eine scheinbare Legitimierung. Aus medizinethischer Sicht und aufgrund der Tatsache, dass es sich bei weiblicher Genitalbeschneidung und -verstümmelung um eine massive Menschenrechtsverletzung und einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit handelt, ist diese veränderte Vorgehensweise ebenso grundsätzlich abzulehnen.

Folgen

Viele Mädchen und Frauen leiden ein Leben lang an den physischen und psychischen Folgen von FGM/C. 
Diese können sich sowohl kurz- als auch langfristig auf die Gesundheit von Mädchen und Frauen auswirken, bspw. in Form von

  • psychischen Problemen
  • (wiederkehrenden) Infektionen
  • Schmerzen und Problemen bei der Menstruation und beim Urinieren
  • Inkontinenz
  • Fisteln, Entzündungen, verhärtetem Narbengewebe und/oder Wucherungen
  • verringerte Libido
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
  • Unfruchtbarkeit
  • Komplikationen bei der Geburt für Mutter und Kind
  • Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen
  • dauerhaften körperlichen Schmerzen (u. a. im Genitalbereich, aber auch Kopf- und Nackenschmerzen)
Formen

Die verschiedenen Formen von FGM/C werden durch die jeweilige Region und Gemeinschaft bestimmt. Folgende vier Typen werden dabei unterschieden:

  • Typ I (Clitoridektomie): Partielle oder komplette Entfernung der äußeren Klitoris und oder der Klitorisvorhaut.
  • Typ 2 (Exzision): Partielle oder vollständige Entfernung der äußeren Klitoris und der inneren, teilweise auch der äußeren Vulvalippen.
  • Typ 3 (Infibulation, auch „pharaonische Beschneidung“): Die vaginale Öffnung wird verengt durch das Beschneiden und Zusammennähen/-heften der äußeren und/oder inneren Vulvalippen. Manchmal wird dabei auch die Klitoris teilweise entfernt.
  • Typ 4: Alle anderen schädigenden Eingriffe, die die weiblichen Genitalien verletzen, bspw. das Einstechen, Durchbohren, Verätzen oder Dehnen der inneren und/oder äußeren Genitalien.
Rechtliche Aspekte
Menschenrechtsverletzung

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung und wird als solche in verschiedenen nationalen und internationalen Gesetzen, Konventionen und Übereinkommen aufgeführt. FGM/C verletzt das Recht von Mädchen und Frauen auf körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung, Schutz vor Gewalt und Diskriminierung.

Wegen der Schwere der Rechtsverletzung wurde im September 2013 mit § 226a StGB ein Spezialstraftatbestand in Deutschland geschaffen, der die Verstümmelung weiblicher Genitalien als Verbrechen einstuft und mit Freiheitsstrafen zwischen ein und 15 Jahren ahndet. Betroffene Frauen können die Tat bis zu ihrem 41. Lebensjahr zur Anklage bringen, da die Verjährung nach § 78 StGB bei weiblicher Genitalverstümmelung erst ab dem 21. Lebensjahr beginnt und 20 Jahre beträgt. Seit Anfang 2015 ist die Genitalverstümmelung auch strafbar, wenn ein Mädchen im Ausland verstümmelt wird, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aber in Deutschland hat (§5, Nr. 9a StGB). Nach dem Zuwanderungsgesetz von 2005 ist der Schutz für Geflüchtete, die Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung sind, entsprechend angepasst worden.

Auch die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, enthält konkrete Empfehlungen für Staaten zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt – einschließlich FGM/C. Eine drohende Genitalbeschneidung ist daher im Asylverfahrensgesetz als Fluchtgrund in Deutschland anerkannt.
Durch die Aufnahme der vier FGM/C-Typen in den medizinischen Diagnoseschlüssel ICD-10-DE 2016 können die Folgekosten von FGM/C mittlerweile bei den Krankenkassen abgerechnet werden.
Darüber hinaus gilt FGM/C als Kindeswohlgefährdung, auf die mit entsprechenden Maßnahmen zur Abwendung reagiert werden muss.

Umgang mit Gefährdungslagen

Wenn es um den Schutz von Minderjährigen vor FGM/C geht, greift der Schutzauftrag für Fachkräfte der Jugendhilfe (§8a SGB VIII) und für alle anderen Fachkräfte aus relevanten Berufsfeldern. Der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung fordert konkret zum Handeln auf. Dabei ist das oberste Ziel, das Kind zu schützen und die Gefahr abzuwenden – im Idealfall unter Mitwirkung der Eltern.
Vorrangig ist in jedem Fall der Schutz der Mädchen. Zur Unterstützung der Gefährdeten ist oftmals kurzfristig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich. Der gesamte Prozess sollte dabei schriftlich und nachvollziehbar dokumentiert werden. Ausführlichere Erläuterungen zum Thema Kindeswohlgefährdung erhalten Sie bei Ihrem zuständigen Jugendamt oder dem Schutzkonzept der jeweiligen Träger.

Schutzbrief

Der Schutzbrief gegen weibliche Genitalbeschneidung und -verstümmelung informiert über die Strafbarkeit von FGM/C. Er dient dabei in erster Linie dem Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung, indem er Frauen und Familien dabei hilft, sich dem gesellschaftlichen und familiären Druck aus den Herkunftsländern entgegen zu stellen. Informationen zum Schutzbrief finden Sie hier.

Weitere Informationen zum Thema weibliche Genitalbeschneidung und -verstümmelung: